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Salinger, Jerome D.: Der Fänger im Roggen

Jede Zeit hat ihre Bücher. Während gegenwärtig ganze Generationen beim Quiddage-Spiel zittern, zog vor 40 Jahren die sogenannte Beat Generation mit Jack Kerouac "On the road". Gehen wir auf dieser Straße noch einmal ein paar Jahre zuruck, treffen wir auf ein Buch, das ebenfalls die Bezeichnung Kultroman verdient. Ich möchte Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, heute Holdon Caulfield, auch bekannt als der "Fänger im Roggen", vorstellen oder dem ein oder anderein Leser in Erinnerung rufen.

Ort und Zeit der Handlung sind relativ eng begrenzt. Der Leser streift mit Holdon drei Tage im Dezember durch New York. Er ist sechzehn und das vierte Mal von der Schule geflogen. Das Internat in Pencey hat er nach einem Streit mit seinem Zimmerkumpel Stratwater fast panikartig verlassen. Als Sohn reicher Eltern ist Geld nicht sein größtes Problem. Er fährt mit dem Zug aus dem Vorort in die City von New York und sucht dort nach Menschen, die seinem ziellos dahintreibenden Dasein wieder einen Sinn geben. Da er aber nur auf Unverständnis trifft, rutscht er immer tiefer in die Verzweiflung. Er spürt, dass die Erlebnisse der Kindheit nur noch Erinnerungen und Träume sind, dass die Welt der Erwachsenen aber durchaus nicht das ist, was er sich für sein zukünftiges Leben wünscht. Sinnvoll kann er sich sein Leben nur als der Roggenfänger vorstellen. Der Fänger im Roggen ist eine Figur aus einem Gedicht von Richard Burns. Dieser Mann steht in einem Roggenfeld, in dem Kinder fangen spielen. Neben dem Feld ist ein Abgrund, die Kinder laufen Gefahr, beim Spiel dort abzustürzen. Der Fänger im Roggen greift möglichst viele von ihnen, um sie vor dem Abgrund zu bewahren.

Ich habe zu diesem Buch mehr als gewöhnlich von der Handlung preisgegeben, denn es ist nicht allein die Handlung, die die Faszination dieses Romans ausmacht. Die Sprache des jugendlichen Helden, seine schnoddrige Art, das Coolsein nach Außen und die wirkliche Herzenswärme sind es, die mich wie auch Millionen anderer Leser seit der deutschen Erstveröffentlichung 1954 in Bann gezogen haben. Kritische Stimmen sagen, die deutsche Übersetzung sei geschönt, durch die Bearbeitung von Heinrich Böll zu literarisch ausgefallen. Der wirkliche Zauber des Buches erschließe sich nur beim Lesen der amerikanischen Originalausgabe. Das kann ich bei der mir vorliegenden und auch in Punktschrift übertragenen Übersetzung von Volk und Welt nicht finden. Mag ein heute Sechzehnjähriger darüber anders urteilen. Mir erscheint dieser Holden Caulfield mit seiner Erlebnis- und Gefühlswelt sehr real und nah, auch wenn nun mein eigenes Kind seiner Generation näher ist als ich. Die meisten von uns tragen doch diese Sehnsucht in sich, nie ganz erwachsen werden zu müssen.

Vom Autor Jerome D. Salinger habe ich wenig geschrieben. Es gibt auch wenig über ihn zu berichten. Er hat neben diesem weltbekannten Buch noch einige kleinere Erzählungen geschrieben, lebt aber bereits seit 1954 sehr zurückgezogen auf dem Land und hasst jede Art von Publicity. Nach eigener Aussage schreibt er, weil es ihm Freude bereitet, weil er es braucht, nicht um berühmt zu werden und eigentlich auch nicht für andere. Ich denke, da können wir froh sein, dass er uns den "Fänger im Roggen" geschenkt hat und sollten uns auch damit bescheiden. Dieses Buch, so schmal wie es ist, bietet Stoff für unendlich viele Lesestunden.

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Copyright: Susanne Siems
Letzte Änderung: Juni 2006