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Bücher von Anita Shreve

In welchen Lebenslagen erreichen uns, liebe Leserinnen und Leser, Bücher. Und ist es für diese Bücher, wenn wir sie uns einmal als Lebewesen vorstellen, nicht auch schwer, manchmal geliebt und manchmal gehasst zu werden. Im Extremfall natürlich nur. Alltagsschicksal eines jeden Buches ist es sicher eher, mal gar nicht und mal allzu schnell aus der Hand gelegt zu werden. Das sogar manchmal von ein und demselben Menschenkind.

Solches tat ich mit dem Roman "Das Gewicht des Wassers" der US-amerikanischen Schriftstellerin Anita Shreve. Vor einigen Monaten geriet mir das Buch in die Hände, ich las den Beginn der Geschichte - einen historischen Kriminalfall auf einer einsamen Insel an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Ich legte das Buch wieder aus der Hand, zu schwermütig, zu ernst. Dann, vor kurzer Zeit, erneute Begegnung mit der Autorin. "Der weiße Klang der Wellen" hieß dieses Mal das Buch, eines, dass mich schon durch die Poetik seines Titels lockte.

Erzählt wird die Geschichte von Thomas und Linda, beide Schriftsteller, die sich nach jahrzehntelanger Trennung auf einem Literaturfestival wieder begegnen. Der Leser wird von Linda mitgenommen auf die aufregenden Reise der Wiederentdeckung und Erinnerung an ein großes Gefühl, das berauschend und fast unerträglich schmerzvoll zugleich ist. Drei Mal begegnet sich das Paar, jedes Mal sprachlos und den Atem anhaltend vor Lust und zutiefst empfundener Nähe dem Anderen gegenüber. Dreimal macht scheinbar das Leben einen Strich durch die Hoffnung auf  gemeinsames Glück. Scheinbar das Leben, denn Handelnde sind immer die Menschen selbst, Menschen mit ihren mutigen und feigen Entscheidungen, mit ihren Vernunftsgründen und überschäumenden Gefühlen. Die Geschichte der Liebe von Thomas und Linda ergreift in ihrer Tragik, macht zutiefst traurig wegen des fehlenden Mutes. Aber die einfühlsame Sprache der Autorin, die sicherlich auch sensiblen Übersetzern zu verdanken ist, bringt Verständnis für die Handlungen der Personen. Und über allem strahlt dennoch der Optimismus, dass das, was wir Liebe nennen und was zwei Menschen zutiefst füreinander empfinden, nur äußerlich gemeuchelt werden kann, dass es in der Seele der Menschen immer weiterlebt. Beeindruckt mehr als an anderen Büchern hat mich, dass Anita Shreve offensichtlich ihre Romanfiguren über mehrere Bücher verbindet. Thomas erzählt Linda von seinem Leben ohne sie, dass durch den tragischen Tod seiner Tochter Betty geprägt wurde. Dabei erwähnt er auch jene Insel an der Ostküste Amerikas und die uralte Kriminalgeschichte. Und da fiel mir wieder ein, dass ich diese Geschichte kannte, bzw. nicht kennen wollte, nahm jenes Buch erneut zur Hand und hatte einen vollkommen anderen Zugang. Diese Sprache! Die Intensität der Stimmungen. Was hatte mich nur davon abgehalten, damals weiter zu lesen. Das eigene, hektische Leben, dem ich nun halb zwangsweise eine Atempause gönne? 

"Das Gewicht des Wassers" ist in jedem Fall nicht weniger gut geschrieben als der erstgenannte Roman. Den ahnungslosen Leser erwartet eine Überraschung: die Fotojournalistin Jean recherchiert einen historischen Kriminalfall, den Mord an zwei Frauen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Aber was da erzählt wird ist nicht nur die Beziehungskrise einer modernen amerikanischen Frau sondern die mindestens ebenso beeindruckende Geschichte einer Norwegerin am Ende des 19. Jahrhunderts. Beide leben in vollkommen unterschiedlichen Verhältnissen und sind sich doch so unendlich ähnlich. 

Beide Titel "Das Gewicht des Wassers" und "Der weiße Klang der Wellen", liegen als Hörbuchfassung in der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zur Ausleihe vor. Die (eventuell gekürzte) Hörfassung des Buches "Das Gewicht des Wassers" ist auch im Buchhandel erhältlich.

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Copyright: Susanne Siems
Letzte Änderung: Juni 2006